Erste Tätigkeitsstätte eines Gerichtsvollziehers

Erste Tätigkeitsstätte eines Gerichtsvollziehers

Das Amtsgericht stellt die erste Tätigkeitsstätte eines Gerichtsvollziehers i.S.d. § 9 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 EStG dar (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.07.2018 – 10 K 1935/17, Revision anhängig, BFH-Az. VI R 35/18).

Erste Tätigkeitsstätte ist nach § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Die Zuordnung im Sinne des Satzes 1 wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt (§ 9 Abs. 4 Satz 2 EStG).

Streitig ist, ob die Fahrtkosten eines Gerichtsvollziehers von seinem Wohnort X zu seinem Amtssitz, dem Amtsgericht in Y, nach dem ab 2014 geltenden neuen Reisekostenrecht als Reisekosten oder nur in Höhe der Entfernungspauschale abziehbar sind. Der Kläger führt u.a. aus, dass er sämtliche notwendige Innendienstarbeiten in seinem genehmigten Büro von zu Hause aus erledige, seinen Amtssitz bei Gericht in Y dagegen lediglich aufgrund gesetzlicher Verpflichtung (§ 30 Gerichtsvollzieherordnung – GVO) unterhalte.

Seine Klage auf Ansatz von Fahrtkosten nach Reisekostengrundsätzen hatte keinen Erfolg:

  • Die Qualifikation als erste Tätigkeitsstätte richtet sich nach neuem Reisekostenrecht zunächst allein nach dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Liegt eine eindeutige Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers vor, haben qualitative oder auch quantitative Merkmale der Tätigkeit außen vor zu bleiben (vgl. FG Niedersachsen, Urteil vom 24.04.2017 – 2 K 168/16, s. hierzu unsere Online-Nachricht vom 12.05.2017).

  • Die Finanzverwaltung knüpft an den Vorrang des Dienst- oder Arbeitsrechts an, hält aber ein gewisses Tätigwerden des Arbeitnehmers an der vom Arbeitgeber festgelegten Tätigkeitsstätte für erforderlich. Als ausreichend erachtet werden auch Hilfs- und Nebentätigkeiten in ganz geringem Umfang, sofern der Arbeitnehmer persönlich an der Tätigkeitsstätte erscheint (BMF, Schreiben vom 24.10.2014 – IV C 5 – S 2353/14/10002, BStBl I 2014, 1412, Rn. 6, 8).

  • Nach Auffassung des Gerichts ist vorliegend der Sitz des Amtsgerichts Y kraft Zuordnung durch den Dienstherrn nach § 2 Satz 1 GVO als erste Tätigkeitsstätte des Klägers im Sinne des § 9 Abs. 4 EStG anzusehen.

  • Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich nicht lediglich um eine disziplinarische Zuordnung. Denn das Amtsgericht Y ist zugleich die dem Kläger zugewiesene Dienststelle/Dienststätte im Sinne des öffentlichen Reisekostenrechts.

  • Im Hinblick auf das teilweise geforderte qualifizierte Tätigwerden an der ersten Tätigkeitsstätte ist nach Auffassung des Senats eine als ausreichend zu erachtende Tätigkeit des Klägers am Amtsgericht gegeben: Nach der Regelung des § 25 Abs. 1, 2 GVO hat der Gerichtsvollzieher täglich seine Eingänge bei der Verteilungsstelle des Amtsgerichts, an der für jeden Gerichtsvollzieher ein Abholfach eingerichtet ist, abzuholen oder auf eigene Verantwortung von einem Boten abholen zu lassen.

  • Dementsprechend holt der Kläger dort regelmäßig vier- bis fünfmal pro Woche seine Vollstreckungsaufträge ab, welche die Grundlage seiner Berufstätigkeit darstellen. Zwar beansprucht diese Tätigkeit weniger Zeit, dennoch ist sie nicht von derart untergeordneter Bedeutung, dass sie die Zuordnungsentscheidung des Dienstherrn infrage stellen könnte.

Hinweis: Das FG hat die Revision zur Fortbildung des Rechts zugelassen, da die Anforderungen, die an eine erste Tätigkeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 EStG zu stellen sind, höchstrichterlich noch nicht geklärt sind. Das Verfahren ist beim BFH unter dem Az. VI R 35/18 anhängig.

Karsten Beister
Karsten Beister
Im Rechnungswesen bin ich schon seit meiner Ausbildung in 1993 tätig. Über die Stationen Steuerfachngestellter und Bilanzbuchhalter habe ich mich in 2000 als Experte für die Büroorganisation selbständig gemacht.

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